10 Punkte in 100 Tagen: Was hat Kay Bernstein mit Hertha BSC vor?

Hertha BSC
REUTERS/Annegret Hilse

Mit der Ernennung zum neuen Hertha-Präsidenten will Kay Bernstein den so dringend benötigten Kultur- und Zeitwandel bei Hertha BSC starten. Der 41-jährige Unternehmer tritt das Erbe von Werner Gegenbauer an, der das Amt die letzten 14 Jahre bekleidete. Aufgrund des jahrelangen Misswirtschaftens und des ausbleibenden sportlichen Erfolges trat Gegenbauer am 24. Mai zurück. In Anbetracht dieser Handlung musste Hertha neben der ordentlichen Mitgliederversammlung eine weitere außerordentliche Versammlung einberufen, in der am 26. Juni im Berliner CityCube Bernstein als Nachfolger bestimmt wurde.

Wahl des Präsidenten

„Unsere Alte Dame liegt auf der Intensivstation. Jetzt können wir sie von innen ganzheitlich heilen und gesund machen“, so beschrieb Bernstein die aktuelle Verfassung des Hauptstadtclubs. Es besteht großer Handlungsbedarf. Für Herthas neuen Anführer wird es „die größte Aufgabe meines Lebens.“ Doch statt Gratulationen und Ovationen wartete auf den ehemaligen Capo der aktiven Fanszene in der deutschen Presse nur großflächige Häme und Angst. Von neutraler Berichterstattung war keine Spur.

Aufgrund der Vergangenheit Bernsteins als Mitbegründer der Ultra-Gruppierung Harlekins 98 kamen Fragen auf: „Wird er Pyro legalisieren und das Olympiastadion in einen Feuertopf verwandeln? Werden die von Ultras so verhassten Personen mit seinem Segen im Stadion beleidigt und verhöhnt? Vergrault er den in der Kurve ungeliebten 375-Mio.-Investor Windhorst endgültig?“ Diese Fragen sind nichts außer Polemik und Populismus. Es kommt der Gedanke auf, Sport-Deutschland fürchtet Bernstein.

Dazu waren in den hiesigen Blättern am Montagmorgen voreingenommene Artikel zu lesen, in denen Bernsteins Name mit Ultra-Boss substituiert wurde und die Aufmerksamkeit auf sein dreimaliges Stadionverbot gelenkt wurde. Dabei könnte man meinen, mit den 1670 Stimmen, welche Bernstein in sein jetziges Amt beförderten, sei ein weitaus schlimmeres Szenario verhindert worden. Dieses wäre in Person von Frank Steffel eingetreten. Steffel, seinerseits Füchse-Präsident und CDU-Politiker, hätte im Falle einer Ernennung ein Gremium gebildet, welches Hertha BSC in keiner Faser widergespiegelt hätte.

Zwar sind Steffel die sportlichen und wirtschaftlichen Erfolge mit den Füchsen im Handball nicht abzusprechen, doch bis zwei Wochen vor der Präsidentenwahl spielte der Politiker keine Rolle im Kosmos von Hertha BSC. Nach seiner Niederlage tauchte Steffel medial in der gewaltigen Geschwindigkeit wieder ab, in der er ebenso auftauchte. Von seiner Kandidatur bleibt, dass Steffel ein Konsortium aus konservativen Politikern in die höchsten Ebenen des größten Vereins der Hauptstadt befördert hätte. Ob diese Aufstellung zu den Werten wie Vielfalt, Toleranz und Entfaltung, die Hertha in den Vordergrund stellt, gepasst hätte, dürfen sie selbst entscheiden.

Was hat Bernstein vor?

Doch zurück zu Bernstein. Was macht seine Wahl so besonders? Der erst 41-Jährige trat seine Kandidatur nicht erst vor zwei Wochen an, sondern bereits Monate bevor bekannt wurde, dass Gegenbauer die Alte Dame verlassen wird. Kaum zu glauben, aber Bernstein war der einzige Kandidat mit einem Wahlprogramm. Ebenso präsentierte der mittlerweile erfolgreiche Unternehmer im Vergleich zu Steffel dieses am Sonntag.

Während Steffel seine Rede vollständig in einem passiv aggressiven Ton hielt, Nachfragen auswich und vor Unsympathie die Mehrheit der 3000 anwesenden Mitglieder verschreckte, überzeugte Bernstein mit seiner Vorstellung auch alt eingesessene Herthaner. Was in der Presse ausblieb, erhielt der neue Präsident vor Ort – Glückwünsche und Standing Ovations. Nicht ein Fan überzeugte die Mitglieder, sondern ein Plan. Bernstein will 10 Punkte in 100 Tagen umsetzen. In dieser Zeit soll ein Kulturwandel her. Ihm dabei helfen wird Fabian Drescher, der zum Vizepräsident gewählt wurde.

Einer dieser Punkte sieht vor, dass der Profikader der Hertha für die Angestellten auf der Geschäftsstelle grillt. Es soll wieder eine echte Identifikation zwischen allen Beteiligten der Alten Dame geschaffen werden. Diese soll vor allem zwischen der Stadt und dem Verein zurückgewonnen werden. Jeder Berliner soll wieder mit Stolz das blau-weiße Trikot tragen. Bernstein, der seit 2005 Mitglied ist, sagte: „Ich kann besonders Hertha-Leidenschaft vorleben.“

Dazu muss niemand Angst haben, dass Bernstein die Baustelle: Kommunikation mit dem Investor noch weiter vergrößert. „Mit Lars Windhorst hinsetzen, Vertrauen aufbauen, abstimmen.“ Es soll im Sinne von Hertha agiert werden. Nicht im Sinne des Geldes. Auch Windhorst selbst meldete sich diesbezüglich zu Wort. „Ich beglückwünsche Kay Bernstein zu seiner Wahl. Mit Interesse habe ich gehört, was er und Fabian Drescher zur zukünftigen Zusammenarbeit mit mir als Gesellschafter gesagt haben. Wir gehen offen und ohne jeden Vorbehalt in die kommenden Gespräche. Es kann ja nur besser als früher werden“, so der Investor.

Die Vision

Bernstein betonte mehrfach, dass er nun die besten Leute zusammenbringen will, um Hertha BSC nach vorne zu bringen. Auf seiner Homepage veröffentliche Herthas neuer Präsident seine Vision, die folgende Punkte beinhaltet:

  • Der Investor (Wie sieht die zukünftige Zusammenarbeit mit Windhorst aus?)
  • Sponsoring-Kodex (Auf welche Geldquellen sollte Hertha verzichten?)
  • Nachhaltigkeit (Wie soll Hertha das Thema der Nachhaltigkeit angehen?)
  • Fankultur (Wie kann die Fankultur von Hertha wachsen?)
  • Vereinsleben (Wie sieht ein Vereinsleben mit 40.000 Mitgliedern aus?)
  • Berliner Sport-Club (Wie kann Hertha wieder mehr im Trubel der Hauptstadt wahrgenommen werden?)
  • Die Jugend-Akademie (Wie kommen mehr Eigengewächse in den Profikader?)
  • Mannschaft, Medien und Außendarstellung (Wie gerät der Fußball zurück in den Vordergrund?)
  • Kommunikation (Wer kommuniziert und wie nach außen?

Eines ist klar: Kay Bernstein hat eine genaue Vorstellung davon, wie sich Hertha BSC in den kommenden Jahren entwickeln soll. Nach all den Jahren, in denen die Alte Dame wirtschaftlich ruiniert wurde und trotz eines Investments in Höhe von 375 Millionen Euro beinahe abstieg, ist Bernstein der Mann, der radikal und untypisch den Berliner Sportclub umkrempeln kann. Im Grunde kann nichts daran falsch sein, wenn ein erfolgloser Traditionsverein von einem der seinen geleitet wird. Den Fans gefällt es. Mit Bernstein als Präsident gibt Hertha BSC ein Novum vor.

Bernstein ist der erste Präsident eines deutschen Vereins, der als Fan und ehemaliger Ultra das höchste Amt ausfüllen wird. Es könnte ein Fingerzeig für viele weitere Traditionsvereine sein, welche das Misswirtschaften der alteingesessenen Präsidiumsmitglieder satthaben. Doch für Hertha ist es vor allem eines – Eine Chance, welche die Mitglieder verdienen. „Jeder kann und muss mithelfen, damit wir unsere blau-weiße Seele zurückgewinnen“, so Bernstein.

Die Kritik sollte lauten, dass Teile seiner Vision vielleicht nur Träumerei ist und nicht, dass Bernstein ein ehemaliger Ultra mit Vorliebe für Pyrotechnik ist. Ob Bernstein pro Pyro oder anti ist, sagt nichts über seine Befähigung als Präsidenten aus. Es ist der Inhalt, der bewertet werden soll.